Mikronährstoffmangel – das unterschätzte Problem der modernen Ernährung
Ein aktueller Artikel in The Lancet Global Health bringt es auf den Punkt:
„Eine unzureichende Mikronährstoffaufnahme und die damit verbundenen Mängel sind eine der Hauptherausforderungen der globalen Gesundheit.“¹
Doch obwohl diese Erkenntnis glasklar ist, wird die gezielte Ergänzung von Mikronährstoffen weiterhin kontrovers diskutiert – oft mit Aussagen wie „Das ist doch nur teurer Urin“ oder „Eine gesunde Ernährung reicht völlig aus“. Die Realität sieht anders aus. Mikronährstoffmängel sind weltweit verbreitet – und das nicht nur in Entwicklungsländern. Auch in Europa und Deutschland unterschreiten große Teile der Bevölkerung die empfohlenen Mengen an essenziellen Vitaminen und Mineralstoffen.
Die entscheidende Frage: Ist eine gesunde Ernährung wirklich genug?
Wie weit verbreitet sind Mikronährstoffmängel?
In den letzten zehn Jahren haben zahlreiche Studien belegt, dass Mikronährstoffmängel ein globales Problem sind. Besonders betroffen: Schwangere Frauen und Kinder unter fünf Jahren. Die häufigsten Defizite betreffen Eisen, Jod, Folat, Vitamin A und Zink – Nährstoffe, die für Wachstum, kognitive Entwicklung und ein funktionierendes Immunsystem essenziell sind.²
Wer jetzt denkt, das sei nur ein Problem armer Länder, liegt falsch. Auch in Europa sieht die Lage ernüchternd aus:
- Kinder haben trotz ausreichender Kalorienzufuhr oft Defizite bei Vitamin D, Folat, Eisen, Calcium und Jod.³
- Laut der Nationalen Verzehrsstudie II erreichen 91 % der Frauen und 82 % der Männer nicht die empfohlene Vitamin-D-Zufuhr – im Schnitt werden nur 30–60 % der Referenzwerte erreicht.⁴
- 86 % der Frauen und 79 % der Männer nehmen zu wenig Folat auf.
- Auch Jod, Eisen, Calcium und Vitamin E werden in vielen Fällen nicht in ausreichender Menge konsumiert.
Die Illusion einer ausreichenden Ernährung
Die im Lancet veröffentlichte Studie untersuchte, welche Mikronährstoffe durch die regionale Ernährung überhaupt gedeckt werden. **Das Ergebnis: Acht von 15 essenziellen Nährstoffen werden weltweit von über 50 % der Menschen nicht in ausreichender Menge aufgenommen.**¹
Besonders auffällig:
- Frauen haben häufiger Defizite bei Jod, Vitamin B12, Eisen und Selen.
- Männer hingegen nehmen oft zu wenig Magnesium, Zink, Vitamin C, Vitamin A und verschiedene B-Vitamine zu sich.
Ein entscheidender Punkt: Diese Analyse berücksichtigt nur die reguläre Ernährung – ohne angereicherte Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel. Die Ergebnisse zeigen also deutlich: Eine „normale“ Ernährung reicht in den meisten Fällen nicht aus.
Warum fehlen uns heute mehr Mikronährstoffe als früher?
1. Sinkender Nährstoffgehalt der Lebensmittel
Studien belegen, dass die Nährstoffdichte von Obst, Gemüse und tierischen Produkten in den letzten Jahrzehnten massiv gesunken ist – um 10 bis 80 %, je nach Quelle.⁵ ⁶ Ursachen:
- Ausgelaugte Böden: Monokulturen und Überdüngung haben die Mineralstoffdichte verringert.
- Veränderte Zuchtsorten: Neue Obst- und Gemüsesorten liefern mehr Ertrag, aber weniger Mikronährstoffe.
- Höhere CO₂-Konzentrationen in der Atmosphäre: Dies fördert das Pflanzenwachstum, senkt aber die Nährstoffkonzentration.
2. Moderner Lebensstil = höherer Nährstoffbedarf
Nicht nur das Angebot an Nährstoffen hat sich verändert – unser Bedarf ist ebenfalls gestiegen. Ursachen:
- Chronischer Stress (physisch und psychisch) erhöht den Bedarf an Magnesium, B-Vitaminen, Vitamin C und Zink.⁸ ⁹
- Toxine aus Umwelt und Nahrung (Pestizide, Schwermetalle, Weichmacher) steigern den Verbrauch an Antioxidantien wie Vitamin C, E, Selen und Zink.¹⁰ ¹¹ ¹² ¹³
- Medikamente als Nährstoffräuber: Statine, Blutdrucksenker oder die Antibabypille entziehen dem Körper essenzielle Vitamine und Mineralstoffe.¹⁴
Richtige Prävention statt spätes Eingreifen
Das größte Problem: Mikronährstoffmängel werden oft erst erkannt, wenn bereits gesundheitliche Probleme bestehen. Doch latente, nicht offensichtliche Defizite können langfristig weitreichende Folgen haben – von erhöhter Infektanfälligkeit über chronische Erschöpfung bis hin zu vorzeitiger Alterung.¹⁵
Fazit: Wer sich optimal mit Mikronährstoffen versorgen will, muss über die Ernährung hinausdenken.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache:
- Mikronährstoffmängel sind weit verbreitet – auch in westlichen Ländern.
- Eine gesunde Ernährung allein reicht meist nicht aus, um den Bedarf zu decken.
- Durch moderne Landwirtschaft und Umweltbelastungen hat sich der Mikronährstoffgehalt unserer Nahrung stark verringert.
- Stress, Umweltgifte und Medikamente erhöhen den Bedarf zusätzlich.
Die logische Konsequenz: Wer seine Gesundheit langfristig optimieren will, sollte sich mit gezielter Mikronährstoffsupplementierung auseinandersetzen – nicht als Ersatz für eine gesunde Ernährung, sondern als essenzielle Ergänzung.
Denn Gesundheit ist kein Zufall – sie ist das Ergebnis bewusster Entscheidungen.
Quellen
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- Bailey RL, West Jr. KP, Black RE. The Epidemiology of Global Micronutrient Deficiencies. Ann Nutr Metab. 2015;66(Suppl. 2):22‑33.
- Kaganov B, Caroli M, Mazur A, Singhal A, Vania A. Suboptimal Micronutrient Intake among Children in Europe. Nutrients. 2015;7(5):3524‑35.
- Max Rubner-Institut (MRI). Nationale Verzehrsstudie II – Ergebnisbericht, Teil 2. Max Rubner-Institut für Ernährung und Lebensmittel. 2008.
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